Caroline Bischoff geb. Sasse war 2003/2004 als Praktikantin der Jürgen Wahn Stiftung in Guatemala und dort im Projekt „La Carolingia“ von ADECI tätig. Regelmäßig hat sie noch Kontakt zu Carmen Barrios, der Leiterin der Tagesstätte
Nachfolgend berichtet sie über das schwierige Projektarbeit im Rahmen der Corona-Pandemie 2020
… Dagegen sollen im Bildungs- und Gesundheitssektor Kürzungen vorgenommen werden– unfassbar gerade in diesem Jahr, in dem die Coronapandemie das Land so sehr gebeutelt hat: Die Krankenhäuser sind kollabiert; viele Menschen meiden sie, weil hier die Gefahr, sich anzustecken größer ist, als auf der Straße; es ist vorgekommen, dass Menschen ihre Angehörigen an der Krankenhauspforte abgegeben und nie wieder gesehen haben, weil sie verstarben und der Leichnam weggebracht wurde; Ärzte werden nur unzureichend oder gar nicht bezahlt und müssen sich selbst mit Schutzausrüstung versorgen, da nicht genug Ausrüstung zur Verfügung steht; die wenigen finanziellen Hilfen der Regierung kommen nicht oder nur spärlich bei der Bevölkerung an; die teuren Tests müssen selbst finanziert werden und können dementsprechend nicht ausreichend durchgeführt werden; Infizierte vertuschen ihre Symptome aus Angst vor sozialen Repressionen. 68% der Bevölkerung arbeitet ohne jegliche soziale Sicherheit im informellen Sektor. Bleiben sie Corona-bedingt zu Hause, werden sie kurzum entlassen; der ÖPNV liegt völlig lahm. Da die Menschen aber zur Arbeit kommen müssen, fahren sie mit Sammel-Pick-Ups. – Man kann sich bildhaft vorstellen, welche Art Mindestabstand dort eingehalten wird(!!) Für uns unvorstellbare Verhältnisse! Noch schlimmer ist es auf den Dörfern, in denen infizierte Menschen bei lebendigem Leibe angezündet wurden, damit sich das Virus im Dorf nicht ausbreitet!!
Seit Mitte März sind alle Kitas und Schulen im Land geschlossen. Es soll Onlineunterricht stattfinden – schwierig in einem Land, in dem 59,3% der Einwohner unter der Armutsgrenze leben. Auch ADECI hat die Pandemie hart getroffen: Zunächst war der Betrieb auf Grund von Ausgangsbeschränkungen vollkommen lahmgelegt. Im April haben Carmen und ihr Team ein Hygienekonzept ausgearbeitet und sind wieder täglich vor Ort. Sie haben Lösungen gesucht, um die Familien trotz der Beschränkungen unterstützen zu können. Für viele Kinder ist das Mittagessen im Projekt die einzige warme Mahlzeit am Tag. Das ADECI-Team verpackt mit finanzieller Unterstützung der Jürgen-Wahn-Stiftung Essens- und Hygieneartikel und gibt sie einmal wöchentlich an die Familien heraus; Material für die Kindergarten- und Schulkinder wird vorbereitet, welches die Familien zusammen mit den Essensspenden abholen, bearbeiten und wieder zurück bringen können. Dort werden die Aufgaben anschließend korrigiert. Es finden zeitversetzter Videounterricht und videobasierte Vorlesestunden statt. Die einzelnen Kindergartengruppen und (Vor-)Schulklassen sind in WhatsApp-Gruppen organisiert, über die die Eltern abends Videos der Kleineren bei der Lösung der Aufgaben schicken. Die „Escuela de Padres“ (gerichtlich verordnete „Elternschule“ für Eltern, denen die Behörden die Kinder entzogen haben und die hier im richtigen Umgang mit Kindern geschult werden) findet über einen Live-Youtube-Kanal statt. Allerdings gibt es unter ihnen Analphabeten, denen es nun unter Einhaltung des Hygienekonzeptes erlaubt ist, an den Workshops in ADECI teilzunehmen.
Carmen weiß von vier Corona-Fällen in der Elternschaft, die ihre Arbeit verloren und noch nicht wieder etwas Neues gefunden haben. Das Problem ist, dass sie von der Hand in den Mund leben und somit keinerlei Rücklagen haben, um die laufenden Kosten, wie Strom-, und Wasserrechnungen und die Miete bezahlen zu können.
Im Projekt werden vornehmlich Kinder alleinerziehender Mütter aufgenommen, weil sie es in Guatemala besonders schwer haben. Eine Mutter musste ihren Job als Putz- und Kochfee in einem Privathaus kündigen, weil der Arbeitgeber erwartete, dass sie zur Minimierung des Infektionsrisikos in seinem Haus übernachten und nur einmal im Monat nach Hause fahren sollte. Außerdem gibt es einige Mütter, die auf dem Markt verkaufen, auf dem zurzeit keine Kinder erlaubt sind. Eine der Mütter lässt ihre Kinder aus der Not heraus alleine zu Hause, schließt die Haustür von außen ab und lebt jeden Tag mit der Angst, ihren Kindern könne etwas zustoßen. Ihre ältere Tochter Lorena ist gerade mal 5 Jahre alt und muss auf ihre 3-jährige Schwester Jade und den noch kleineren Bruder aufpassen. Unvorstellbar! Andere nehmen ihre Kinder mit zu den Straßenverkäufen, wo sie den ganzen Tag auf den Beinen und natürlich auch erhöhtem Infektionsrisiko ausgesetzt sind.
Carmen würde gerne einzelne Kinder, die sich allein überlassen sind ins Projekt holen, allerdings hat die Regierung dies unter Strafandrohung untersagt.
Hoffen wir, dass die Pandemie weltweit und natürlich auch in Guatemala bald besiegt ist, die Kinder wieder ins Projekt kommen können und Carmen ihnen wieder Märchen vorlesen kann.